Putin in Cannes - aber nur als Deep Fake (2024)

Cannes. Extreme auf dem Festival: Ein Spielfilm über Russlands Präsidenten und eine Doku über den Krieg in der Ukraine

Am Ende stirbt Putin. „Es sollte ein Happy End sein“, sagt der Filmemacher Patryk Vega, der am Rand des Filmfestivals von Cannes seine Film-Biografie über den russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgestellt hat. „Ich habe Putin angerufen und gefragt, ob er mitmachen wolle.. -Ach, war ein Scherz“, fügt der polnische Filmemacher, der bislang vor allem Gangsterfilme gedreht hat, mit breitem Lächeln hinzu.

Da der echte Wladimir Putin nicht verfügbar war, entschloss sich Vega, ihn mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz als Deep Fake auftreten zu lassen. Eine Technologie, die in der Filmwelt viele fasziniert, viele aber auch abschreckt. Weil sie um Jobs fürchten. Und um die Authentizität der Filme. Zunächst habe er seine Filmfigur mit Hilfe realer Aufnahmen von Putin kreieren wollen. Doch die Qualität sei für eine große Leinwand nicht gut genug gewesen: „KI muss gefüttert werden. Es braucht 20.000 Bilder in hoher Auflösung, damit es funktioniert“, erläutert Vega. Stattdessen habe er eine neue Technologie entwickelt, die einem realen Schauspieler mit Putins Statur mithilfe von KI dessen Gesicht verschafft. Es sei der erste Film, der diese Technologie benutzt, so Vega.“

Es ist genau dieser Einsatz von KI, vor dem viele Angst haben

Der Effekt ist verblüffend. Im Film ist Putin zu sehen, wie man ihn kennt: in Diktatorenpose, an barocken Schreibtischen, aber auch wie er Klavier spielt und sich im Krankenbett in die Hose gemacht hat. Vega wollte „ in den Kopf von Putin hineinkriechen“. Sein Film sei eine Art „Gebrauchsanleitung“ für den russischen Präsidenten. „Putin ist nicht verrückt. Aber bei ihm dreht sich alles um sein Ego“, meint der Regisseur, der kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Idee zu dem Film hatte. Das Ergebnis ist eine Mischung aus politischem Thriller und psychologischem Porträt des Machthabers, das etwa 60 Jahre seines Lebens umfasst.

Die von ihm entwickelte KI-Technologie will Vega künftig auch anderen Produzenten anbieten, um etwa Szenen mit Statisten zu generieren. „Sie können mir eine leere Straße schicken, und ich schaffe ihnen eine Menschenmenge“, erklärt er. Die Figuren seien komplett künstlich, daher gebe es keine Problem mit Bildrechten, und es sei deutlich billiger als ein Dreh mit zahlreichen Statisten. Genau dies macht vielen Beschäftigten in der Filmwelt Angst. Bei dem massiven Streik in Hollywood im vergangenen Jahr ging es nicht zuletzt um die Frage, welche Folgen es hat, wenn Drehbuchautoren, Synchronsprecher und letztlich auch Schauspieler zunehmend durch intelligente Software ersetzt werden können.

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Putin in Cannes - aber nur als Deep Fake (1)

Im Dezember kam es zu einer Einigung, die ein Mitspracherecht von Darstellern vorsieht, wenn deren digitale Klone benutzt werden sollen. Der Einsatz von KI-Avataren soll außerdem vergütet werden. Längst ist es möglich, Schauspieler künstlich zu verjüngen, wie etwa Harrison Ford in „Indiana Jones“, Filmkulissen künstlich zu erschaffen oder den kommerziellen Erfolg eines Filmes je nach Besetzung zu berechnen.

„Wir sehen KI als ein Hilfsmittel, das die Kreativität fördert und neue Jobs schafft“, sagte Charles Rivkin, Chef von Motion Picture Association, dem Verband der großen US-Filmproduktionsgesellschaften, dem Magazin „The Hollywood Reporter“. Ob der gefakte Putin das Publikum überzeugt, wird sich demnächst zeigen. Der Film wurde nach Angaben des Vertriebs bereits in mehr als 50 Länder verkauft, auch nach Deutschland. Weltweiter Kinostart ist am 26. September.

Eine Doku zeigt, wie der Krieg die Gesellschaft in der Ukraine verändert

Putin spielt in Cannes auch in einem anderen Film eine Rolle. Wenngleich auf ganz andere Art. In Sergei Loznitsas Dokumentarfilm „Invasion“. Zehn Jahre ist es her, dass der Filmemacher hier mit seinem Dokumentarfilm „Maidan“ die ukrainischen Proteste zeigte, die zum Sturz des damaligen Kreml-treuen Präsidenten Viktor Janukowitsch führten. Nun stellte er sein jüngstes Werk vor, in dem er zeigen will, wie der Krieg die Gesellschaft verändert. Loznitsa wurde 2022 von der ukrainischen Filmakademie ausgeschlossen, weil er sich gegen einen pauschalen Boykott russischer Filmemacher ausgesprochen hatte. Dazu habe er seine Meinung nicht geändert, betont er. Und doch soll sein Film eine „Ode an die Ukraine“ sein.

Lange Einstellungen, keine Musik, keine Kommentare – Loznitsa bleibt seinem Stil treu. „Ich will in das Material nicht eingreifen, ich will es nicht korrumpieren“, erklärt er. Auf diese Weise werde der Zuschauer in das Geschehen hineingezogen. „Er wird Teil der Tragödie“, so der Filmemacher. „Ich will so ehrlich wie möglich sein, wenn ich etwas dokumentiere - ob ich es mag oder nicht.“

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Putin in Cannes - aber nur als Deep Fake (2)

Eine Szene sei für ihn besonders schmerzlich gewesen: Zu sehen ist ein großer Buchladen. Vor der Kasse und im Lager stapeln sich Bücher. Junge Männer holen sie aus dem Laden und werfen sie auf einen Lastwagen, wortlos, geschäftig. Es sind russische Bücher. Dostojewski, Puschkin, Bilderbücher, Übersetzungen. Später laufen sie über ein Laufband in eine Altpapierpresse, so langsam, dass die Titel zu lesen sind. „Diese Szene hat mir sehr wehgetan“, sagte Loznitsa. „Die Zerstörung der russischen Bücher sei eines der Zeichen, wie die Gesellschaft sich verändere. „Ich kann die Gefühle verstehen, aber ich kann es nicht akzeptieren“, sagt er.

Der ukrainische Filmemacher betet jeden Tag für das Ende des Krieges

Beerdigungen, Schießübungen, das Abfüllen von Kanistern an einer Wasserstelle - all das ist in dem Dokumentarfilm zu sehen. Eine junge Frau hofft auf die Freilassung ihres Partners, der in russischer Gefangenschaft ist, nur 30 oder 40 Kilometer entfernt. Loznitsa, der im europäischen Ausland lebt, hat gleich nach Kriegsbeginn angefangen, an der Dokumentation zu arbeiten, ohne allerdings selbst in die Ukraine zu fahren. Ein bis zwei Mal pro Monat fuhr ein kleines Team los, in Städte und Dörfer in verschiedenen Landesteilen. „Wir wollten einen möglichst breiten Ausschnitt der Gesellschaft zeigen.“

Der ukrainische Filmemacher zählt zu den Stammgästen in Cannes. Sein Film „Mein Glück“ war 2010 der erste ukrainische Film, der auf dem Festival gezeigt wurde. Es folgten „Maidan“ sowie „Donbass“, „Babyn Jar. Kontext“ und „Luftkrieg“. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, den früher erfolgreichen Schauspieler und heutigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für einen seiner nächsten Filme zu verpflichten, lacht er, wird aber schnell wieder ernst: „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“ Seine ganze Hoffnung sei darauf gerichtet, dass dieser Krieg ende. „Dafür bete ich jeden Tag.“ AFP

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